Der Ausgangspunkt meiner Überlegungen im angeführten Beitrag findet sich in mehreren Erfahrungen, die ich während meiner Ausbildung in der Fachsektion für Integrative Gestalttherapie des ÖAGG im Austausch mit Psychotherapeut*innen und Vortragenden machte. Hier wurde fortwährend in zahlreichen Varianten das Selbstverständnis dargelegt: »Wir sind ein ›phänomenologisches‹ Verfahren.«
Je nach Kontext bezeichnete dies entweder die Orientierung am konkreten, persönlichen Erleben in der psychotherapeutischen Praxis oder den Bezug zum Philosophen Maurice Merleau-Ponty, wenn etwa das Konzept der Leiblichkeit als Schlüsselmotiv unserer psychotherapeutischen Denkweise erläutert wurde. Eine solche Begriffsverwendung irritierte mich als jemanden, der ein langjähriges Studium der Philosophie hinter sich hatte, regelmäßig, weil der Begriff »Phänomenologie« hier jeweils Anderes bezeichnet. Vor diesem Hintergrund möchte ich argumentieren, dass sich hier im fachlichen Diskurs eine Unschärfe im Selbstverständnis und im Konzept der psychotherapeutischen Methode findet. Meines Erachtens wird in dieser Unschärfe übergangen, dass eine psychotherapeutische und eine philosophische Phänomenologie in sehr deutlicher Weise unterschiedliche Gewichtungen und Akzentsetzungen haben, auch wenn es zugegebenermaßen ein gemeinsames Bedeutungsfeld und »Sinnverwandtschaften« gibt. Anliegen meines Textes ist es folglich, eine solche Differenzierung ausdrücklich zu machen und die Unterschiede konzeptuell zu fassen. Auf diese Weise möchte ich auch auf die genannte Unschärfe im Diskurs aufmerksam machen und einen Beitrag zu einer größeren Klarheit in der Begriffsverwendung und im methodischen Selbstverständnis der Integrativen Gestalttherapie leisten.
Anliegen meines Beitrags ist es, zwischen einer psychotherapeutischen und philosophischen Phänomenologie zu differenzieren. Im Feld der Integrativen Gestalttherapie meint »phänomenologisch«, den Fokus auf die Erfahrung eines Einzelnen in seinem persönlichen leiblichen Erleben im Hier und Jetzt zu richten. Im Sinne einer Traditionslinie der Philosophie hingegen meint »phänomenologisch« das Bestreben, nach allgemeinen, ontologischen Strukturen unserer menschlichen Erfahrung zu fragen. Zusammengefasst geht es hier um das Spannungsfeld zwischen konkreten, persönlichen, existentiellen Erleben und dem Streben nach allgemeinen Strukturen von Erfahrung, die uns unabhängig von konkreten betroffenen Personen gemeinsam zu eigen ist. Zur Ausarbeitung dieser Differenz ziehe ich folgende Autoren heran: auf philosophischer Seite Fuchs, Zahavi, Heidegger; auf psychotherapeutischer Seite Zinker, Joyce, Sills, Schigutt und Petzold.
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